Die Orangenernte ist harte Arbeit...
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...auch Kinderarbeit


Die Arbeit ist hart: Bei der Ernte müssen fast 30 Kilogramm schwere Säcke geschleppt werden, die Arbeitszeit beträgt bis zu zwölf Stunden. Vor allem bei Kindern und Jugendlichen kann durch das Schleppen der schweren Last die Wirbelsäule geschädigt werden. Durch die Ausbringung von Pestiziden ist die Gesundheit ebenfalls gefährdet.

Bittere Orangen
von Uwe Pollmann

Die Sonne brennt auf der Haut. Sidnei wischt sich den Schweiß von der Stirn. Seit Stunden wühlt er sich durch Blätter und Äste. Flink schnappt der zwölfjährige sich eine Orange nach der anderen und stopft sie in einen umgehängten Sack. Seit sieben Uhr morgens geht er von Baum zu Baum auf einer Plantage, deren Ende nicht zu sehen ist. „Um fünf Uhr stehe ich auf", erklärt er, „gehe aus dem Haus und nehme den Bus, der zum Orangenhain fährt. Wenn alles abgeerntet werden soll, dauert das oft bis acht Uhr abends."

Sidnei arbeitet mit Vater und Bruder auf einer Plantage im brasilianischen Bundesstaat São Paulo. Bis vor einem Jahr drückte er die Schulbank, eigentlich wollte er Bankangestellter werden, aber dann fehlte der Familie das Geld. Also mussten auch die Kinder bei der Akkordarbeit in der Pflückzeit ran. 60 Kisten zu je 30 Kilogramm füllt Sidnei am Tag. Dann holt sie ein Lastwagen ab. Ein Großteil geht in die Pressereien der Umgebung und von dort als Konzentrat in den Hafen Santos, von wo es nach Europa verschifft wird. Doch darüber denkt Sidnei nicht nach. Wenn ein Baum abgepflückt ist, stemmt er eine lange Leiter zum nächsten Baum. Dort muss er zunächst vorsichtig sein, Bienen könnte es geben. „Aber Schlangen gibt es auch", schüttelt er sich. „Wenn man nicht vorsichtig ist, beißen sie dich."

Sidnei ist nicht der einzige brasilianische Junge, der tagtäglich Orangen pflückt. „Orangensaftindustrie beutet Kinder in São Paulo aus", hatte vor einigen Jahren die renommierte brasilianische Tageszeitung „Correio Brasiliense" die Misere angeprangert. Kurz darauf bestätigte eine Studie der brasilianischen Gewerkschaft „Central Unica dos Trabalhadores" (CUT), dass unter den Beschäftigten auf den Plantagen ein Fünftel Kinder und Heranwachsende sind. Viele ältere Pflücker haben selbst im Alter von elf oder zwölf Jahren angefangen zu arbeiten. Die genaue Zahl der Kinder sei aber oft nicht festzustellen, geben Gewerkschaftsführer an, da die Orangenplantagen scharf bewacht würden. (...)

Zwar geht die brasilianische Gewerbeaufsicht in den letzten Jahren verstärkt gegen Kinderarbeit vor, doch den Familien hilft das mitnichten. Denn nach einer Liberalisierung des brasilianischen Arbeitsrechts hat sich laut CUT und Transnational Information Exchange (TIE) zudem die soziale Absicherung der Arbeiter verschlechtert.

So müssen die Subunternehmen, die die Erntehelfer kurzfristig verpflichten, diese nicht mehr sozialversichern. Den Pflückern fehlt damit Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung - der Arbeitgeberanteil an der Sozial-versicherung wird eingespart. Die Subunternehmen nehmen die Orangenarbeiter wiederum als Subunternehmer, sogenannte „autonomos", unter Vertrag. Der Status der autonomos verbietet laut Gesetz die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft.

Vor allem die Nachfrage nach billigem O-Saft diktiert diese Bedingungen. Denn in den 60er Jahren begann der gelbe Saft seinen Siegeszug in Europa. Da entschlossen sich Farmer im brasilianischen Bundesstaat São Paulo, ihre Kaffeesträucher auszureißen und Orangenbäume zu pflanzen. „Eine Saftfabrik ist eine Dollarfabrik", jubelte da der Belgier Edmond van Parys, Präsident des damals aufstrebenden Fruchtsaftunternehmens Citrobrasil. Der Hintergrund: Die Europäer stiegen von den heimischen Säften auf O-Saft um. In Deutschland wurde immer weniger Apfelsaft getrunken. Niedrige Löhne und hervorragende Investitionsbedingungen erleichterten in Brasilien die Geschäfte. So investierten Deutsche, Amerikaner und Franzosen neben Brasilianern in große Fruchtpressereien. Bis heute haben Unternehmen und viele Farmer 200 Millionen Bäume vor allem im Bundesstaat São Paulo gepflanzt. Kontrolliert aber wird das Geschäft mit O-Saft hauptsächlich von sechs großen Konzernen, an denen auch US-amerikanische, französische und deutsche Unternehmen Anteile in unbekannter Höhe besitzen. Brasilien exportiert fast die Hälfte des Orangensaftes auf dem Weltmarkt, größter Abnehmer des Konzentrates ist mit 60 Prozent die Europäische Union. (...)

Leicht geänderter Auszug aus: Forum Eine Welt 4/98